Vom demonstrierenden zum jubelnden Volk – eine suggestive Narration?

Die visuelle Darstellung der deutschen Wiedervereinigung in hessischen Schulbüchern

Erkenntnisleitende Fragestellung

Die deutsche Wiedervereinigung von 1989 ist als „friedliche Revolution“ in die Geschichte eingegangen. So zutreffend die Formulierung auch sein mag, sie enthält eine Suggestion, die wegbereitend für ein sinngebendes Narrativ unserer Nationalgeschichte ist. Aus diesem Grund drängten sich uns bei der Untersuchung von Schulbüchern folgende Fragen auf:

Welche Geschichte der Wiedervereinigung wird anhand der Bebilderung von Schulbüchern geschrieben?

Welche Personen wurden als zentrale Akteure der Wiedervereinigung dargestellt?

Episodische Erfassung des Bebilderungsreservoirs

Unsere Methode zielte auf eine episodische Betrachtung des Bebilderungsreservoirs zur Wiedervereinigung ab.
Als Untersuchungskorpus wählten wir alle aktuell zugelassenen Schulbücher an hessischen Gymnasien, wobei wir insgesamt 68 Fotografien mit Personen im Kontext der Wiedervereinigung erfassten.

Die Analyse dieser Fotografien erfolgte durch die Einordnung in ein Kategoriensystem, das verschiedene Personengruppen klassifiziert. Die einzelnen Kategorien, die sich vorwiegend aus dem Bildmaterial und den Bildunterschriften erschlossen, wurden quantitativ ausgezählt. Die entsprechenden Kategorien sind in dem untenstehenden Diagramm aufgeführt.

Abb 2: Der Scan dieser Seite zeigt die verwendete Methode zur Erfassung der Personenkategorien.

Kategoriale Auswertung

Bei der quantitativen Auswertung stellte sich heraus, dass die Personengruppen der „Demonstrant*innen“ (26) und der „jubelnden Menschen“ (21) in den Fotografien der hessischen Schulbücher am häufigsten dargestellt sind. Politiker wurden insgesamt 17-mal abgebildet, insbesondere in Portraits oder bei politischen Verhandlungen. Zudem wurden die am häufigsten vorkommenden Fotografien analysiert, wobei sich zeigte, dass die Fotografie eines Demonstranten mit dem Transparent „Wir sind ein Volk“ am häufigsten abgedruckt wurde.

Diagramm 1: Quantitative Auswertung der Kategorien

Diagramm 2: Quantitative Auswertung der am häufigsten gedruckten Fotografien

Häufige Fotografien

Abb. 3: Fotografie eines Demonstranten bei einer Kundgebung in Ostberlin, die in den Schulbüchern hessischer Gymnasien am häufigsten abgedruckt wurde.

Abb. 4: Die Fotografie von Demonstrant*innen bei der Montagsdemonstration in Leipzig am 12.02.1990 zählt ebenfalls zu den mehrfach abgedruckten Fotografien der Wiedervereinigung.

Abb. 5: Auch diese Fotografie der DDR-Flüchtlinge in der Prager Botschaft im September 1989 tauchte wiederholt in den untersuchten hessischen Schulbüchern auf.

Fazit und Ausblick

Als Ergebnis konnte festgehalten werden, dass die Bilder in hessischen Schulbüchern die Wiedervereinigung primär als eine vom Volk getragene Erfolgsgeschichte darstellen. Demonstrant*innen und jubelnde Menschen stehen in den Fotografien deutlich im Vordergrund, wohingegen politischen Entscheidungsträger*innen vergleichsweise wenig Bedeutung beigemessen wird.

Doch auch die abgebildeten Transparente offenbaren, welche Geschichte der Wiedervereinigung geschrieben wird. Als Vertiefung und Erweiterung unseres Ansatzes ließe sich daher eine qualitative Untersuchung der Transparente sowie der am häufigsten dargestellten Bildmotive anstellen.

Von Franziska Moritz und Jana Weber