Hadamar

Eine vergleichende Betrachtung

Forschungsinteresse

Im Rahmen der Studiengruppe „Historisches Bildwissen“ aus dem Wintersemester 2017/2018 bin ich auf das obenstehende Bild gestoßen. Laut Bildunterschrift handelt es sich um ein heimlich aufgenommens Bild eines rauchenden Schornsteins der Tötungsanstalt Hadamar. Die kleine Anmerkung, dass es sich um ein heimlich aufgenommenes Bild handelt, welches aus der Stadt fotografiert wurde, erweckte mein Interesse. Daher habe ich mich entschieden, die Bebilderung der Euthansie mit dem Fokus auf Hadamar zu untersuchen.

Festlegung des Korpus

Im ersten Schritt galt es, ein erstes Korpus für die Untersuchung auszuwählen. Dafür wurde eine Tabelle mit allen an der Universität vorhandenen Schulbüchern zusammengestellt, die sich mit dem Thema „Euthanasie“ beschäftigen. Somit wurden alle  Schulbücher herangezogen, die das Oberthema „Nationalsozialismus“ beinhalten. Die Tabelle auf der Belegseite stellt diese Übersicht dar.

Einscannen der Funde

Im zweiten Schritt wurden alle Bilder aus den Büchern gescannt, die sich in irgendeiner Form mit dem Thema „Euthanasie“ befassen. Die nebenstehenden Bilder stellen die hierbei gefundenen Doppelseiten dar.

Sortierung und Filterung der Befunde

Eine Struktur für die weitere Untersuchung hatte sich bei der Sichtung des Korpus schnell herauskristallisiert, nachdem die Bilder eindeutigen Kategorien zugeordnet werden konnten. Die entsprechende Kategorisierung ist an den nachfolgenden Bildern dargestellt:

Doppelseiten, die sich mit dem Thema Euthanasie beschäftigen, aber keine Bebilderung zu Hadamar beinhalten.

Bilder, die sich mit Hadamar beschäftigen, aber das Ausgangsbild „rauchender Schornstein“ nicht darstellen.

Bilder mit dem „rauchenden Schornstein“

Genauere Betrachtung der Doppelseiten

Bei genauer Betrachtung der einzelnen Bilder lässt sich feststellen, dass drei unterschiedliche Ausschnitte des Bildes mit dem „rauchenden Schornstein“ abgedruckt wurden. Die Bilder der Schulbücher des Klett Verlags unterscheiden sich jedoch nur in der Größe. Daher kam die Idee auf, diese Bilder übereinander zu legen.

Layoutanalyse

Um die Struktur der Doppelseiten besser analysieren zu können, wurden zwei der Schulbuch-Doppelseiten exemplarisch ausgesucht und mit Hilfe der Layout-Methode untersucht. Als Beispiele dienten die Doppelseiten aus den Schulbüchern Entdecken und Verstehen 4 (2014) des Cornelsen Verlags und Das waren Zeiten – Neueste Zeiten (2015) des C.C.Buchner Verlags. Entdecken und Verstehen 4 ist in Hessen für die Realschule bzw. Gesamtschule zugelassen, während Das waren Zeiten. Neueste Zeit für die Sekundarstufe I an Gymnasien konzipiert ist.

Abb. 25: Exemplarische Darstellungsweise von Hadamar mit dem Bild des „rauchenden Schornsteins“.

Schnell wird klar, dass zwei sehr unterschiedliche Einbindungen des Bildes vorgenommen wurden. Bei Entdecken und Verstehen 4 können keine expliziten Verweise und/oder Aufgaben mit Bezug auf das Bild gefunden werden, wohingegen die Doppelseiten von Das waren Zeiten – Neuste Zeiten das Bild klar als Quelle makiert („M3“) und dieses Bild in einer Aufgabe für die Schüler*innen miteinbezieht.

Analyse der expliziten Bild-Textbezüge im Schulbuch „Entdecken und Verstehen 4“

Analyse der Bildeinbindung und der Bezüge im Schulbuch „Das waren Zeiten. Neuste Zeit“

Erweiterung des Korpus

Durch eine Exkursion in das Georg-Eckert-Institut für internationale Schulbuchforschung (GEI) entstand die Möglichkeit, die Geschichte des Bildes tiefergehend zu verfolgen. Eine erste Stichprobe in Schulbüchern aus anderen Bundesländern bestätigte die Annahme, dass das Thema „Hadamar“ nur in hessischen Schulbüchern eine Rolle spielt. Dies führte zu dem Entschluss, das Korpus auszuweiten und alle bis ins Jahr 2009 zugelassenen Schulbücher in Hessen einzubeziehen. Hierfür wurde die digitalisierte Fassung der Zulassungslisten des GEI genutzt. Das derzeitige Korpus erweiterte sich damit von 21 auf 42 Schulbücher.

Erfassung des erweiterten Korpus

Das erweiterte Korpus beinhaltete sieben Schulbücher mit einer Bebilderung zum Thema „Euthanasie“. Hiervon hatten fünf Bilder einen Bezug zu Hadamar, wobei es sich bei drei Bildern um die bereits bekannte Fotografie handelte.

Bearbeitung des erweiterten Korpus

Obgleich das Korpus auch durch die Erweiterung überschaubar blieb, ließ sich die Verwendung der Fotografie quantitativ auswerten. Als Ergebnis konnte Folgendes festgehalten werden:

Das Bild kommt nur in drei Verlagen in dem untersuchten Zeitraum vor. Diese sind der Ernst Klett, C.C. Buchner und Cornelsen Verlag.

In den Schulbüchern des Ernst Klett Verlages taucht das Bild dreimal auf und zwar in den Jahren 2006, 2007 und 2013. Bei jenen des C.C. Buchner Verlages sind es die Jahre 2005 und 2015. Der Cornelsen Verlag wiederum platziert es 2011 und 2014 in seinen Schulbüchern.

Die frühste Verwendung der Fotografie in einem hessischen Schulbuch lässt sich auf das Jahr 2005 datieren, während die aktuellste Darstellung aus einem Schulbuch des Jahres 2015 stammt.

Fazit und Ausblick

Es lässt sich nach dieser Untersuchung feststellen, dass das Bild des „rauchenden Schornsteins“ kontinuierlich verwendet wird, um die Themen „Hadamar“ bzw. „Euthanasie“ im Allgemeinen visuell darzustellen. Für den gewählten Untersuchungszeitraum scheint es somit zum Kanon der Bebilderung zu gehören.

Auffällig ist zudem, dass sich dieser Zeitraum mit der Errichtung des Denkmals der grauen Busse deckt. Dieses Denkmal wurde 2006 eingerichtet und ist zweiteilig.[1] Ein „reisender“ Teil bewegt sich zu den Orten der T4 Aktionen, unter Anderem auch nach Frankfurt, um auf die Fahrten nach Hadamar hinzuweisen. Es ist möglich, dass die Debatten, die sich mit der Errichtung des Denkmals beschäftigten, die Schulbuchkommissionen inspiriert haben, sich diesem Thema anzunehmen. Eine weitere Auffälligkeit, die für diese These spricht, ist die häufige Bebilderung des Themas „Euthanasie“ mit den grauen Bussen bzw. dem Denkmal der grauen Busse.

Die Untersuchung des Bildes mit dem „rauchenden Schornstein“ hat viele Fragen aufgeworfen, die hier leider nicht beantworten werden konnten. In weiteren Forschungsarbeiten ließen sich daher folgende Fragen und Schwerpunkte genauer betrachten:

  1. Die Frage nach dem/der Fotograf*in
  2. Die Frage nach der Entstehungsgeschichte des Bildes
  3. Die Prüfung des Korpus vor 2009
  4. Die Prüfung der Verbindungen zur Einrichtung des Denkmals der grauen Busse
  5. Die Untersuchung des Themas „Euthanasie“ in Schulbüchern anderer Bundesländer

Von Jens Laufer

Literatur

[1] Erstmaliges Aufstellen des Denkmal-Busses in Weißenau am  6. November 2006. URL: http://www.dasdenkmaldergrauenbusse.de/index.php?option=com_content&task=view&id=12&Itemid=85