Bilder zum Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich
Eine Untersuchung in hessischen Geschichtsschulbüchern
Die antisemitischen Karikatur „Politischer Bilderbogen. No 14.“ als Ausgangspunkt
In der Studiengruppe „Historisches Bildwissen“ erregte eine Karikatur meine Aufmerksamkeit, die sich über eine ganze Schulbuchseite erstreckt und antisemitisch ist. Abgebildet ist der„Politische Bilderbogen No. 14“. Er entstammt einer Reihe ähnlicher antisemitischer Bilder aus dem Leipziger Verlag Glöß, die in loser Folge zwischen 1892 und 1901 erschienen. 1894 entwarf hier der Karikaturist Max Bewer Zukunftsszenarien von Berlin im Jahre 1950.
Das Gesamtbild ist zweigeteilt. In der oberen Hälfte wird ein nationalistisches Deutschland dargestellt. Jüdische Präsenz im Wirtschafts- und Kulturleben ist schon ausgemerzt worden oder im Begriffe ausgemerzt zu werden. Die Juden spielen gesellschaftlich überhaupt keine Rolle mehr. In der unteren Hälfte wird das Gegenteil dargestellt: Die Juden haben sich breitgemacht und die Herrschaft in allen Lebensbereichen übernommen wohingegen die deutsche Bevölkerung geknechtet wird. Die Naturnotwendigkeit zum apokalyptischen Endkampf zwischen Deutschtum und Judentum wird hier behauptet und die Intention des Bildes ist es offensichtlich, dass der Betrachter die in der oberen Hälfte dargestellte Situation herbeiführen soll. [1]
Bestandsaufnahme und Fragestellung
Eine Bestandsaufnahme aller für die Oberstufe in Hessen zugelassenen Geschichtsbücher ergab, dass im Kontext des Antisemitismus im deutschen Kaiserreich überwiegend Karikaturen aus dieser Zeit verwendet werden. Die Grundgesamtheit besteht aus acht Büchern. In fünf Büchern werden insgesamt acht Karikaturen abgebildet, in drei Büchern werden im Zusammenhang mit der Judenemanzipation vier Gemälde bzw. Fotos von Personen gezeigt, die Treiber dieser Emanzipation bzw. auch Integration waren, und ein Buch enthält ein Foto, welches jüdisches Leben dokumentiert (sonntägliche Menschenmenge vor einer Synagoge). Von den genannten acht Karikaturen hat nur eine illustrativen Charakter, sie hat einen Bezug zum Autorentext, mit den anderen sieben sind Arbeitsaufträge verknüpft.
Diese Feststellung dient als Anlass, um sich im Folgenden mit dem Themenkomplex „Antisemitismus im Kaiserreich“ auseinanderzusetzen.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, warum in den genannten Büchern der Antisemitismus dieser Zeit nur oder fast ausschließlich durch Karikaturen dargestellt wird. Schließlich hätten z.B. auch dessen Vordenker wie Wilhelm Marr, Eugen Dühring, Paul de Lagarde, Houston Stewart Chamberlain oder der populäre Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke (sofern Bilder von ihnen vorhanden sind) abgebildet werden können, um den Antisemitismus des Kaiserreichs zu verdeutlichen.
Antisemitische Karikaturen in den untersuchten Schulbüchern
Unter dem Begriff „Karikatur“ werden im Deutschen grundsätzlich zwei Arten von Zeichnungen unterschieden: Zum einen eine bestimmte Art der Portraitzeichnung, zum anderen das Genre der politisch-satirischen Zeichnung mit kritischer Ausrichtung. Die hier betrachteten Karikaturen gehören zur letzteren Art.
In diesen werden ganz im Sinne der zur damaligen Zeit aufkommenden Rassentheorien, Elemente eines stereotypisierten jüdischen Körperbaus, wie die Hakennase, Plattfüße, krumme Beine und Kleinwüchsigkeit eingesetzt, um die propagierte äußere wie innere Hässlichkeit und Fremdartigkeit der Juden zu untermauern. Zum hässlichen Äußeren werden Attribute wie Knoblauch (oder Zwiebel) hinzugefügt, die eine Assoziation zu unangenehmen Gerüchen herstellen sollen.[2] Andererseits sind die Juden in aller Regel gut gekleidet, was wohl das Klischee, dass sie reich oder wenigstens wohlhabend seien, bedienen soll.
Dass die Schwelle zur Entmenschlichung schnell überschritten war, belegen die Darstellungen der Juden als Tiere bzw. als von Tieren abstammende Wesen, wobei die Darwin’sche Evolutionstheorie bewusst verfälscht wurde.
Die Schulbücher enthalten zudem drei Abbildungen von Bildpostkarten. Dieses Medium wurde von der antisemitischen „Bekenntnisindustrie“ in den 1890er Jahren entdeckt. Bildpostkarten wurden in ganzen Serien produziert und eher selten verschickt. Sie dienten mehr als Sammelobjekte.[3]
Intentionen der antisemitischen Karikatur des 19. Jahrhunderts
Die mit der Judenemanzipation allmählich erfolgende Aufnahme der Juden in die bürgerliche, sich säkularisierende Gesellschaft und ihr sozialer Aufstieg bewirkten neue Abwehrmechanismen und Feindbilder. Der sich ausbildende Antisemitismus beruhte auf drei Säulen: sozioökonomische Statusängste, christlich-religiöse Vorurteile und völkisch-nationalistische Purifikationsphantasien. Sie prägten seine Gedanken-, Sprach- und Symbolwelt.[4]
Zwar versagte der moderne Antisemitismus als autonome politische Bewegung weitgehend, aber seine Stereotype und Feindbilder konnte er im Bewusstsein breiter Bevölkerungsschichten verankern.
Eine humorvolle zeichnerisch-karikierende Auseinandersetzung mit dem Judentum und jüdischem Leben hatte es schon vor dem 19. Jahrhundert gegeben. Ein manifestes stereotypes und bewusst tendenziöses Judenbild entwickelte sich vor allem in den Karikaturenzeitschriften, welche in den 1840er Jahren gegründet wurden, den „Fliegenden Blättern“, dem „Kladderadatsch“ und den „Düsseldorfer Monatsheften“. Ziel war hier der oft feindselige Spott auf Kosten der Juden. Dabei entfaltete sich kein autonomer, sich selbst genügender Witz. Zwar bewegen sich die Karikaturen vermeintlich auf der Humorebene, inhaltlich beanspruchen sie jedoch eine auf den wahren Kern reduzierte Realität zu spiegeln. Das Bild vom Juden will sehr häufig nichts anderes sein als eine Wiedergabe ihres tatsächlichen Erscheinungsbildes.[5]
Von entscheidender Bedeutung für die antijüdische Bildsatire war, dass das inhaltliche Moment immer mehr zurückgestellt und auf die Suggestionskraft der visuellen Vermittlung gesetzt wurde. Das visuelle Moment setzte die spezifischen Möglichkeiten, die dem Bild innewohnten, erst frei. Eines ikonographischen Apparates bedurfte man jetzt nicht mehr, sodass der Prozess der Dechiffrierung der Bildinhalte und der Begründungszwang entfielen. Das körperliche Erscheinungsbild, speziell die Physiognomie, transportierte die Aussage, dass die so unerfreuliche Hülle nur Ausdruck des wahren Kerns der Dargestellten sei.[6]
Zusammenfassung
Im 19. Jahrhundert waren antijüdische Karikaturen in fast allen satirischen Zeitschriften der unterschiedlichsten politischen Richtungen zu finden. Sie bezogen sich auf die angeblichen Machenschaften der Juden in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens und liefen auf die Behauptung hinaus, dass ihre Loyalität nur dem eigenen Volk diene. Das Wohlergehen der deutschen Nation schädigten sie bedenkenlos. Zur Darstellung wurden Elemente eines stereotypisierten jüdischen Körperbaus (Hakennase, Plattfüße, Kleinwüchsigkeit) verwendet, um die äußere wie innere Hässlichkeit und Fremdartigkeit der Juden zu untermauern. Das solcherart gegebene Bild vom Juden wurde an dessen Stelle gesetzt: Ein chimärisches Konstrukt erzeugte Wirklichkeit und setzte sich tief gegen alle mögliche bessere Erfahrung fest.
Die Etablierung einer bürgerlich geprägten Gesellschaft mit Pressefreiheit eröffnete kritischer Bildsatire ein neues breites Publikum. Insbesondere wurde auch ein Publikum erreicht, das rein schriftlicher Kommunikation fern stand, jedoch durchaus Erfahrungen mit visuellen Medien besaß und bildhafter Darstellung zugänglich war. Fortschritte in der Reproduktionstechnik ermöglichten technisch wesentlich einfacher herzustellende, zeichnerisch differenziertere und sogar farbige Darstellungen. Die Schnellpresse bot die Möglichkeit zu massenhafter Produktion in enger zeitlicher Nähe zum Geschehen. Bildliche Darstellungen und damit Karikaturen nahmen daher im 19. Jahrhundert einen ungeahnten Aufschwung.
Politisch waren die Antisemiten im Kaiserreich erfolglos, da sie die rechtliche Gleichstellung der Juden nicht rückgängig machen und ihr gesellschaftliches Fortkommen nur in wenigen Teilbereichen behindern konnten. Allerdings hatte sich Judenfeindlichkeit über Parteien, Vereine, Verbände und die Medien tief in der Mentalität breiter gesellschaftlicher Schichten verwurzeln können.
Um diesen Komplex im Geschichtsunterricht erarbeiten zu können und weil sie zum Bildrepertoire des Kaiserreichs gehören, bieten zeitgenössische antisemitische Karikaturen als historische Bildquellen einen motivierenden guten Einstieg.
Schulbücher entstehen nach staatlichen (staatlicher Bildungsauftrag) und privatwirtschaftlichen (Produktion) Regeln, aber auch im Versuch, nah an der Lebenswelt der Schüler und Schülerinnen zu sein sowie im kommunikativen Prozess aller Beteiligten. Ob und in welcher Weise ein Thema im Schulbuch behandelt wird, unterliegt einem breiten gesellschaftlichen Diskurs. Neben dem inhaltlichen Aspekt finden hier auch produktionstechnische Überlegungen ihren Niederschlag. Bilder in Schulbüchern müssen rechtlich einwandfrei sein, d.h. in jedem einzelnen Fall muss eine Genehmigung vorliegen, das gewünschte Bild abdrucken zu dürfen. Hinzu kommt, dass Bildagenturen nur eine begrenzte Anzahl historischer Bilder anbieten.
Literatur
[1] Zeiten und Menschen. Geschichte Oberstufe, Hrsg. von Hans-Jürgen Lenzian, Braunschweig, Paderborn, Darmstadt 2007, S. 496-497 und Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Gesellschaft und Karikatur des Kaiserreichs. Glöß‘ Politische Bilderbogen1892 – 1901, Norderstedt 2005, S. 52, 116.
[2] Gräfe, Thomas: Antisemitismus in Gesellschaft und Karikatur, S. 35-36.
[3] Ebd., S. 51.
[4] Dittmar, Peter: Die Darstellung der Juden in der populären Kunst zur Zeit der Emanzipation, München, London, New York, Paris 1992, S. 289 und Gräfe, Antisemitismus in Gesellschaft und Karikatur, S. 37.
[5] Dittmar, Die Darstellung der Juden, S. 272.
[6] Ebd., S. 277.
[7] Zumindest ist das in Österreich so. Hier unterstelle ich, dass das auch in Deutschland gilt, vgl. Vandersitt, Sigrid: Ein Schulbuch ist ein Schulbuch – Ein Essay aus der Praxis über die Produktion eines österreichischen Unterrichtsmittels. In: Kühberger, Christoph/Mittik, Philipp (Hg.), Empirische Geschichtsschulbuchforschung in Österreich, Innsbruck, Wien, Bozen 2015, S. 184.